Kreativität ist ein Allerweltswort geworden. Es gehört mittlerweile zum guten Ton, kreativ zu sein. Auch die Sprachküche spricht von Kreativität und verspricht sie sogar in Workshops und Seminaren. 

Aber was ist das, Kreativität? 

Die moderne Ablenkung vom Alltäglichen und Allzufaden? 

„Lasset uns kreativ sein, tun wir geschäftig, auch wenn diese Geschäftigkeit weder substanziell noch effizient ist, eine unterhaltsame Nebenbeschäftigung, willkommene Ablenkung, erfrischende Abwechslung. Ach, wie gut tut es, auch einmal kreativ zu sein.“ 

Kreativität, so wie sie in der Sprachküche mit allem Ernst und voller Leichtigkeit praktiziert wird, heißt freilich wesentlich anderes: Sie ist das Sich-Einlassen auf das Unabsehbare. 

Wer kreativ ist, gestaltet, schafft und produziert (pro ducere: heraus- und hervorführen), führt das zu Gestaltende heraus aus dem Unklaren, Undeutlichen und Ungestalten und hervor in die Klarheit, Deutlichkeit und Gestalt. 

Wer kreativ ist, weiß vorerst nicht, womit er oder sie es genau zu tun, weiß jedoch: Da ist etwas!

Kreatives Schreiben geht in dieselbe Richtung: Wir spüren, da ist etwas. Und es gibt Vorboten: ein Wort, ein Bild, eine Idee, ein Empfinden. Diese Vorboten fliegen auf wie Vogelschwärme aus einer Talsenke, in die wir nicht blicken können, da eine Hügelkuppe davorliegt. Haben wir aber gespürt, dass da etwas ist, und folgen wir dem Flug eines Vogels, dann begeben wir uns auf eine Spur, dann sind wir auf dem Weg. 

Wir beginnen zu schreiben und wissen nicht wohin. Darin liegt das Unabsehbare. 

Das klingt harmloser, als es ist.

Wer ist schon bereit, sich auf etwas einzulassen, was man noch nicht kennt? Wer ist schon bereit, die Ufer der Vertrautheit hinter sich zu lassen, in See zu stechen, die Segel zu hissen und — was? Etwas anzusteuern? Aber das geht ja nicht, weil wir nicht wissen, wohin die Reise geht. 

Wenn auch das Ziel der Reise ungewiss ist, eines ist gewiss: 

Kreativität heißt, sich auf etwas Neues einzulassen, dieses Neue und damit Zukunft in das Leben hereinzulassen. 

Die Zukunft ist aber nicht ein indifferentes Etwas, sondern will von uns gestaltet werden. 

Wer kreativ ist, ist bereit, Vertrautes loszulassen.
Wer kreativ ist, ist bereit, das warme Bettchen, worin man von Zukunft nur geträumt hat, zu verlassen.
Wer kreativ ist, ist bereit für die Überraschung, das Aha-Erlebnis, das freudige Staunen: „Was? So geht das auch? Das gibt es auch? Davon hatte ich ja keine Ahnung.“
Wer kreativ ist, hat nicht bloß ein paar tolle Ideen, um sie uns vor die Füße zu werfen. Wer kreativ ist, gestaltet.
Wer kreativ ist, bringt auf den Punkt, wo zuvor nur ein gedankenloser Gedankenstrich gestanden ist.
Wer kreativ ist, macht aus einem Konjunktiv einen Indikativ.
Wer kreativ ist, legt Sümpfe unbegrenzter Möglichkeiten trocken (ach, es könnte dies oder auch jenes sein) und pflanzt einen Baum, in dem die Vögel (die er einst auffliegen sah) endlich nisten können. 

Die Sprache, insbesondere die geschriebene, ist hierbei ein guter Prüfstein. Je klarer eine Sache sprachlich herausgearbeitet ist, desto besser ist der Stil.

Kreatives Schreiben in der Sprachküche bedeutet somit zweierlei (und wir sollten es uns vorher gut überlegen, ob wir wirklich kreativ sein wollen):

  1. Es ist ein Sich-Hineinschreiben ins Unbekannte, Unvertraute und Unabsehbare. Wir sind bereit, die alten Sprach- und Denkmuster hinter uns zu lassen, aus dem Kreisverkehr der verbrauchten Konzepte zu fahren. 
  2. Es gibt dem Neuen Form und Gestalt. Je klarer es sich zeigt, desto besser ist der Stil. 

Kreativität etabliert Neues. Kreativität (ver)wandelt, erfrischt und bringt uns auf andere, ja ungeahnte Gedanken und Wege.

Der kreative Prozess ist ein strukturierter und strukturierender Prozess, der alles, was vor dem geistigen Auge auftaucht, in eine Verbindlichkeit hineinführt.

Hier geht es nicht um unterhaltsame Gedankenspiele und Experimente. In der Sprachküche hat Kreativität eine praktische Relevanz. Bewegt von dem Wort, bewegen wir unser Leben.

Sollte bei all dieser Gewichtigkeit eine schwere Aufgabe auf uns warten? Aber nein! In der Sprachküche geht alles mit Humor und Schwung. Denn wir wissen aus Erfahrung: Aller Anfang ist leicht.